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Kultur. Kino. Wuppertal
Regisseur Matthew Ferraro über „Faust“ an der Wuppertaler Oper – Premiere 02/25
Interview: Peter Ortmann
Der amerikanische Regisseur Matthew Ferraro inszeniert „Faust“ an der Wuppertaler Oper.Anders als in Goethes Vorlage steht in Charles Gounods Oper nicht das Gelehrtendrama, sondern die Dreiecksbeziehung zwischen Faust, Mephisto und Margarethe im Vordergrund.
engels: Herr Ferraro, zwischen Studierzimmer und der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg – wie komplex muss ein Bühnenbild sein, um die Spielorte der Oper „Faust“ von Charles Gounod abzudecken? Oder werden es mehrere Bilder auf der großen Bühne in Wuppertal?
Matthew Ferraro: Ich langweile mich sehr schnell, deshalb muss ich neben den Anforderungen der Geschichte immer auch meine eigene Aufmerksamkeitsspanne berücksichtigen. Das Bühnenbild ist hoffentlich komplex genug, um das visuelle Interesse des Publikums aufrechtzuerhalten und den vielen Schauplätzen, die die Partitur andeutet, gerecht zu werden. Gleichzeitig sind die Szenen viel metaphorischer als realistische Darstellungen dieser Orte. Jede Szene in „Faust“ ist wie ein kleines Gedicht. In gewisser Weise ist es ein mittelalterliches Mysterienspiel, was sich darin widerspiegelt, dass jede Szene ein Archetyp ist – der Pakt mit dem Teufel, die Menschenmenge, der Fanatiker, der Krieg, die Liebesszene, Religion, das Gefängnis usw.
Ist die kritische Neuausgabe von Fritz Oeser aus den 1970ern leichter zu inszenieren? Die hat ja einen Akt weniger. Was ist da eigentlich weggefallen?
Nun, offensichtlich wurde das Ballett gestrichen, was heutzutage recht üblich ist. Das ist schade, da ich selbst Ballett-Tänzer war und es liebe, Tanz in der Oper zu sehen. Aber das Ballett belastet die Oper tatsächlich, wenn man es aufführt – es bläht den Abend genau an der falschen Stelle auf, nämlich dort, wo man eigentlich mit voller Geschwindigkeit auf das Ende zusteuern möchte. Und natürlich ist es sehr teuer, genügend Tänzer zu engagieren, damit es sich lohnt. Wenn ich eine Inszenierung mit Ballett machen würde, dann richtig – nicht mit einer cleveren Mini-Version. In einer Zeit, in der Oper und Kunst schrumpfen – mehr in den USA, aber leider inzwischen auch in Deutschland, was früher undenkbar war – reagiere ich zunehmend gegen diesen Trend. Wenn ich mir die Zeit nehme, etwas zu machen, dann möchte ich es richtig machen. Minimalismus finde ich auf Fotos von Inszenierungen extrem schön, aber beim Zuschauen furchtbar langweilig.
Wie groß sind die Abhängigkeiten zwischen Inszenierung und Bühnenbild?
Sie sind vollkommen voneinander abhängig. Deshalb arbeite ich nicht mit anderen Bühnenbildnern zusammen – obwohl ich das Glück habe, mit der großartigen Devi Saha zusammenzuarbeiten, die die Kostüme entworfen hat. Für mich ist das Bühnenbild vollständig mit dem Regiekonzept verflochten. Tatsächlich verstehe ich auch nicht, wie zwei Regisseure an einem Projekt arbeiten können. Das ist für mich völlig verrückt.
Inwieweit hat Johannes Witts Arbeit Einfluss auf die Inszenierung?
Es ist immer eine Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Dirigent. Die besten Regisseure verstehen die Bedürfnisse der Musik und die besten Dirigenten verstehen die Anforderungen der Inszenierung – es ist ein Hand-in-Hand-Verhältnis. In dieser Hinsicht ist Johannes Witt einer der besten Dirigenten, mit denen ich je gearbeitet habe. Unsere Proben zusammen machen großen Spaß. Und der Klang, den er aus dem Orchester herausholt, ist außergewöhnlich.
Wie berücksichtigt die Regie, dass die immerhin acht Protagonisten auch singen müssen? Goethe hielt eine Vertonung seines „Faust“ eigentlich für unmöglich, oder?
Ich kann nicht für Goethe sprechen, aber genau das machen wir in jeder Oper. Sie müssen immer singen. Der Gesang ist wirklich wichtig. Die Stimme ist das persönlichste Instrument. Die Stimmen malen die emotionale Landschaft der Geschichte, und der Klang reist als unsichtbare Energiewellen vom Körper des Sängers in die Körper der Zuschauer und wird dann von den feinen Membranen im Ohr in neuronale Informationen umgewandelt, die das Gehirn und das Herz verarbeiten. Und wenn Goethe einen Fernseher gesehen hätte, hätte er völlig den Verstand verloren. Wir entwickeln uns also tatsächlich weiter, was das Mögliche angeht.
Dieser Faust ist eher ein Beziehungsdrama.
Ich denke nicht, dass „Faust“ ein Beziehungsdrama ist. „Sex and the City“ handelt von Beziehungen. „Faust“ ist eine Oper über Verlust, Zeit und die Beziehung jedes Menschen zu den metaphysischen Fragen des Universums. Es geht buchstäblich um die größten, existenziellsten Fragen des menschlichen Daseins. Deshalb ist es eine Oper und kein Musical. Nur mit einem Symphonieorchester kann man anfangen, solche Fragen zu stellen.
Warum ist laut Ankündigung ausgerechnet diese Oper geeignet für Menschen ab 14, die sich in einer Sinnkrise befinden?
Ich denke, die meisten Menschen über 14 haben – ob bewusst oder unbewusst – ein „Programm“ im Hinterkopf laufen, das mehr oder weniger Rechenleistung des Gehirns beansprucht. Dieses Programm hat nur einen Zweck: die Natur der menschlichen Existenz zu verstehen. Leben wir in einem grausamen und sinnlosen Universum – oder hat unser Leben einen Sinn? Wenn wir Menschen verlieren, verlieren wir sie für immer? Gibt es in einem unendlichen Universum einen Gott? Wird unser Bewusstsein beim Tod ausgelöscht oder irgendwie gerettet? Oder werden wir recycelt? Und warum müsste es Recycling in einem unendlichen Universum geben? Und wenn das Universum nicht unendlich ist, was ist dann außerhalb davon? Was ist der Sinn von all dem? Werden schlechte Menschen bestraft – oder sind Moralvorstellungen einfach eine Art soziale Zweckmäßigkeit? Wenn es einen unendlichen Gott gibt, wer sind wir, ihm Grenzen zu setzen? Wie könnte ein Elternteil sein Kind nicht lieben? Warum sollte ein allmächtiger Gott uns so viel Schmerz ertragen lassen? Das sind Religion und Metaphysik, Sex und Tod. Ich denke, jeder, der sich der Unvermeidbarkeit des Todes bewusst ist, stellt sich diese Fragen. Diese Oper ist Gounods, wie ich finde, ziemlich radikale, progressive und offensichtliche Antwort – und er kommt zum selben Schluss wie Mahler in seiner Zweiten Symphonie.
Faust | 23.2.(P), 2., 23.3., 4.4., 9.5., 8.6., 6.7. | Oper Wuppertal | 0202 563 76 66
Interview: Peter Ortmann